Das Hörspiel

Republik der Verrückten ist ein Hörspiel von Oliver Kontny mit Musik von Marc Sinan aus der internationalen Reihe Iranian Voices. Dokumentarisches Material wird in das berühmte persische Liebesepos von Laila und Madjnun gewoben. Eine Sechzehnjährige, die ihren Vergewaltiger erschlägt. Ein schwer depressiver Student, der im Park einen Mann küsst. Ein Richter, der immer wieder Frauen zum Tode verurteilt. Eine Mutter, die sich für ihren schwulen Sohn einsetzt. Menschen, die nicht mehr mitmachen. Vor der Folie der Erzählung vom wahnsinnigen Dichter Madjnun und seiner stummen Geliebten Laila erkämpfen die Sprecherinnen sich eine eigene Haltung gegenüber den Ereignissen im heutigen Iran.

Jasmin Tabatabai und ein starkes Ensemble postmigrantischer Sprecherinnen und Sprecher stellen das Erzählen und den Widerstand in ein spannungsreiches Verhältnis, das immer persönlich bleibt und Reflexion statt Betroffenheit erreichen will.

Komponist und Bandleader Marc Sinan war mit der iranischen Musiklegende Kayhan Kalhor im Studio und setzt gegen die klassisch-persischen Miniaturen ironische, einfühlsame und brachiale Soundscapes mit der serbischen Jazzsängerin Jelena Kuljic.


Iranian Voices

Iranian Voices ist ein internationales Hörspielprojekt, das vom schwedischen Riksteatern initiiert wurde. In vier Ländern und in fünf Sprachen sollen Hörspiele entstehen, die sich mit den anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in der islamischen Republik Iran beschäftigen. Sveriges Radio produziert eine schwedische und eine persische Fassung, BBC ein englischsprachiges Hörspiel und der Offene Kanal Istanbul sendete eine türkische Version. In Deutschland wurden der Dramaturg und Autor Oliver Kontny, der u.a. fürs Ballhaus Naunynstraße arbeitete, sowie der mit dem diesjährigen UNESCO-Sonderpreis ausgezeichnete Komponist Marc Sinan mit der Aufgabe betraut, ein Hörspiel zu produzieren.


Das Thema

Der Text von Oliver Kontny agiert auf zwei Ebenen, um die starken Widersprüche, aber auch mögliche Berührungspunkte zwischen der verfeinerten Hochkultur der klassischen persischen Dichtung und dem brutalen, deformierten und von Paradoxien geprägten Alltag in der islamischen Republik aufzuzeigen. Auf einer Ebene erzählt er die Geschichte von Laila und Madschnun, einem Topos, der die iranische Kultur über die Jahrhunderte durchzieht. Der Dichter Qays verliebt sich in die Beduinin Laila. So obsessiv ist seine Liebe, daß er fortan Madschnun genannt wird – der von Dschinn Besessene. Der soziale Außenseiter wird von Lailas Familie abgelehnt und die junge Frau muß eine Ehe mit einem Mann aus einem anderen Stamm eingehen. Eine Handelskarawane führt sie an ihren neuen Lebensmittelpunkt und der Dichter soll sie nie wieder zu Gesicht bekommen. Er zieht in die Wüste, Vögel nisten in seinem Haar, jahrelang streift er durch die Einöde, und in der kompromißlosen Verengung seines Blickfeldes auf die verschwundene Geliebte sticht er sogar die Derwische und Asketen aus, deren Ziel es doch sein sollte, nichts als ihre eigene Suche nach Gott mehr wahrzunehmen.

Laila und Madschnun ist weniger eine Liebesgeschichte als eine Erzählung über eine bestimmte Form von Maskulinität. Laila selbst hat in dem Stoff keine Stimme (im Hörspiel soll der Text hingegen von Frauen gesprochen werden). Andererseits wird ein Lebensentwurf, der aus den engen Grenzen der traditionellen Gesellschaftsordnung hinausdrängt, mit nachvollziehbaren Motiven ausgestattet: Der Wahnsinn, die Armut und Vereinsamung sowie die Weigerung, einem anderen Tagewerk als der Dichtkunst nachzugehen, erfahren eine Stilisierung, die den ewigen Heldensagen und Kriegsepen quasi das Wasser abgräbt. Kein Wunder, daß spätestens seit der herausragenden Bearbeitung durch den kaukasischen Epiker Nezami der Stoff als eine Parabel gelesen wird, um eigenwillige Lebensentwürfe zu legitimieren. Bis in die Texte der verbotenen Underground-Musik im heutigen Teheran spinnt sich also die Erzählung fort und auch jenseits blumiger Orientalistik bietet sie zahllose Anhaltspunkte, um von Unterdrückung, Außenseitertum, Aufbegehren und Rückzugsstrategien in einem Staat zu erzählen, der noch auf die intimsten Handlungen der Menschen Zugriff beansprucht.

Auf der zweiten Ebene nutzt der Text dokumentarisches und biographisches Material aus dem Iran: Blogeinträge vom Sommer 2009, Eindrücke vom Enthusiasmus wie von der bodenlosen Frustration, nüchterne Augenzeugenberichte, Fallstudien von bekannten Menschenrechtsanwältinnen wie Shadi Sadr und schwullesbischen Aktivisten wie Arsham Parsi, sowie Versatzstücke von iranischen Gegenwartsautorinnen wie der verbotenen Shiva Arastooie und der ikonischen Forough Farrokhzad. Der Autor vereint sprachlichen Zugang zum Original mit dem Ansatz, das Material in eine hiesige, verdichtete Sprache zu setzen. Anders als beispielsweise in der schwedischen Fassung werden die einzelnen Geschichten nicht dramatisiert, sondern teils dokumentarisch, teils assoziativ aus der Subjektive erzählt. Absurde Dialoge, die einen realen Kern umkreisen, sowie Erzählerberichte, die groteske Ereignisse lapidarisieren, funktionieren jeweils als eigenständige Miniaturen, die nach und nach ein klares und hartes Bild der alltäglichen Verbrechen an den Bürgern zeichnen, ohne Betroffenheit zu erheischen. Die Episoden erfassen auch die weniger heroischen Seiten von Widerstand und Unterdrückung wie die grassierende Drogensucht oder die Erosion psychischer und sozialer Strukturen.


Die Musik

Der Komponist und Gitarrist Marc Sinan hat mit dem herausragenden iranischen Musiker Kayhan Kalhor improvisierte Duoaufnahmen eingespielt. Kalhor gilt als einer der renommiertesten Instrumentalisten persischer Kunstmusik weltweit. In den Aufnahmen für „Iranian Voices“ nutzt er die klassische Stachelfidel Kamancheh zur Erzeugung von Klängen, die ungemein plastisch und geräuschhaft aus der Tradition ausbrechen und im Austausch mit der elektrisch verstärkten Gitarre Zustände und Bewegungen erzählen. Darüberhinaus hat er eine Reihe von exklusiven Solominiaturen eingespielt, die sich direkt auf ausgesuchte literarische Motive im Libretto beziehen. Mit einem Trio bestehend aus Gitarren, Schlagzeug und Vokalistin wird Marc Sinan diese Aufnahmen in ein Gefüge aus Übermalungen und Kontrapunkten montieren. Die selbständigen musikalischen Mittel stehen in der Ausdruckshierarchie nicht unter, sondern neben dem Text.

Als Sprecher/innen sind inbesondere junge Stimmen aus dem Netzwerk um das Ballhaus Naunynstraße angefragt, die zum großen Teil selbst iranische Eltern haben. Die Autorenproduktion wird mit Archivmaterial von Video- und Tonaufnahmen aus dem Iran ebenso arbeiten wie mit Material, das in unterschiedlichen Außensituationen aufgenommen werden soll. Zusätzlich wird es Aufnahmen im Tonstudio geben, die mit der Musik montiert werden. Neben der Radioausstrahlung sind Vorführungen als Audioinstallation an mehreren Spielstätten geplant. Darüberhinaus wird eine Publikation als Hörspiel-CD angestrebt.